Tscherno-Waldi – König der Bauzäune
Niemand hat so viele Bauzäune geklaut wie er. Und keiner weiß, warum.
Es gibt Namen, die flüstert man nur hinter der Feuertonne. Namen, bei denen selbst die härtesten Schnorrer kurz mal still werden. Tscherno-Waldi ist so einer. Keiner kennt seinen richtigen Namen. Manche sagen Walter, andere Waldemar. Aber alle sagen: der Typ hat mehr Bauzäune bewegt als ganz Berlin in einem Jahr Stadtsanierung.
Ich hab ihn zum ersten Mal gesehen 2014 am Görli, kurz nach’m Deutschland-Spiel. Halb Berlin hacke, Müll überall, und da stand er: dünn wie ein verkeilter Aal, zerfurchtes Gesicht, Kapuzenpulli mit Atomzeichen. Und hinten auf’m Wägelchen? Zwei komplette Bauzaunfelder, ordentlich verzurrt mit Kabelbindern. Einfach so. Mitten durch die Menge.
„Was machste damit, Alta?“ frag ich ihn.
„Kunstinstallation“, grinst er – und verschwindet im Gebüsch.
Der Mythos
Später erfahr ich: Der Waldi war mal Schlosser. Oder Bühnenbauer. Oder Stacheldrahtfetischist – kommt drauf an, wen du fragst. Irgendwann ist er abgestürzt. Tschernobyl-Waldi haben sie ihn genannt, weil er immer meinte, er hätt Strahlung abbekommen. Ob’s stimmt? Keine Ahnung. Aber Fakt ist: Seitdem sammelt er Bauzäune. Nicht nur so aus Spaß. Mit System.
Die Methode
Er beobachtet die Baustellen. Wochenlang. Schaut, wann die Security kommt. Wo der LKW rausfährt. Welche Schrauben locker sind. Dann – zack – zwei Uhr nachts, Regen oder Schnee, Waldi zieht mit seinem Wägelchen los. Einmal hat er vorm Alexa 15 Meter Zaun komplett abmontiert. Alle dachten, das wäre offizieller Rückbau.
Und das Beste? Er verkauft sie nicht. Nie.
Einmal hat einer gefragt: „Ey Waldi, was kriegste für’n Feld?“
Waldi nur: „Kunst darf man nicht verkaufen, Brudi.“
Er stapelt sie im Park, manchmal verbaut er sie zu Labyrinthen. Manchmal stellt er einfach ein Feld in den Weg und beobachtet Leute, wie sie drumrumlaufen. Psychospiel. Ganz große Oper.
Der Bauzaun als Botschaft
Ich schwör dir, das ist keine Saufbirne mit Sammelzwang – das ist ein verdammter Bauzaun-Philosoph. Für Waldi ist der Zaun Symbol der Trennung: Arm und Reich. Drinnen und draußen. Miete und Obdachlosigkeit. Baustelle und Stillstand. Wenn er ’nen Zaun klaut, reißt er ein Stück von diesem System raus.
Einmal hat er vorm Rathaus zwei Felder aufgestellt, mit Schild:
„Hier entsteht: kein Zuhause.“
Wurde zwei Tage später in der taz abgedruckt. Ohne Quellenangabe natürlich.
Wahrheit oder Rausch?
Manche sagen, Waldi existiert nicht wirklich. Eine Projektion, ein Sammelbegriff für alle, die sich gegen Beton und Ordnung wehren. Aber ich hab ihn gesehen. Ich hab ihm ein Astra rübergeschoben und er hat gesagt: „Ein Zaun hält nur das auf, was sich aufhalten lässt.“
Das sitzt. Tiefer als jeder Vollrausch.
Fazit:
Wenn du nachts durch die Stadt ziehst und plötzlich steht da ein einzelnes Bauzaunfeld mitten aufm Gehweg – schräg, deplatziert, ohne Sinn – dann weißt du: Tscherno-Waldi war hier.
Und keiner weiß, warum. Aber irgendwie fühlt’s sich richtig an.