Der Kackbeutel-Heinz von der Hamburger Allee
Du weißt, dass du wirklich tief drin bist, wenn du anfängst, bestimmte Leute zu kennen, nicht weil du sie mal im Bus gesehen hast, sondern weil du ihren Scheißgeruch erkennst, bevor du sie siehst. Und genau da kommt Kackbeutel-Heinz ins Spiel. Die Allee war lang, aber sein Schatten war länger. Jeder Penner, jeder Pfandsammler, sogar die schmierigen Türsteher vom Billigbordell kannten ihn – nicht beim Reden, sondern beim Riechen.
Heinz war kein Obdachloser im klassischen Sinne. Er hatte mal ein Zuhause, wahrscheinlich. Irgendwo in der Nähe von Barmbek, munkelte man. Doch dann kam die Geschichte mit der Katze, dem Gasofen und der unendlichen Kackerei – keiner wusste mehr, was Mythos war. Fakt war: Heinz trug immer einen Plastiksack voller eigener Scheiße bei sich. Echte, dampfende, unverleugbare Kacke. Und das nicht aus irgendeinem Fetisch, sondern weil er meinte, das sei sein Schutz gegen Dämonen und Sozialarbeiter.
„Wenn ich schon stinke wie die Hölle, kommt die Hölle nicht zu mir“, sagte er mal, Bier in der einen, Beutel in der anderen.
Heinz war nicht aggressiv. Er war höflich, sogar fast liebenswert, solange man nicht versuchte, ihm den Beutel abzuquatschen oder gar zu stehlen (ja, das hat mal einer versucht – und der lebt jetzt angeblich im Klärwerk). Er war einer von den stillen Wächtern, die einfach da waren. Jeden Tag, gleiche Bank, gleiche Jacke, gleicher Beutel. Nur der Inhalt variierte. Man konnte ihn als Landmarke benutzen:
„Wo bist du?“
„Na beim Heinz, gegenüber vom Kiosk mit den gelben Tauben.“
Was wir von ihm lernen können:
- Territorium sichern durch Grenzüberschreitung – Wer nach Scheiße stinkt, wird selten bestohlen. Kein Junkie klaut dir deinen Rucksack, wenn er denkt, da ist noch mehr von dem drin, was Heinz bei sich trägt.
- Unsichtbarkeit durch Untragbarkeit – Heinz war für’s Ordnungsamt ein Mysterium. Keiner wollte sich ihm nähern, kein Cop hatte Bock auf Körperkontakt. Das ist taktische Ekelstrategie – genial, wenn du’s durchziehst.
- Gegenstände mit Geschichte – Der Beutel war nicht irgendein Beutel. Es war sein Talisman, seine Verteidigung, sein Tagebuch. Andere schreiben Memoiren, Heinz trug sie mit sich rum – warm und plastifiziert.
Und heute?
Er ist weg. Niemand weiß, wohin. Manche sagen, er ist abgedampft ins Nirgendwo, andere, er sei beim Pinkeln vom S-Bahnsteig gefallen und einfach verdunstet mit seinem Beutel. Ich glaub, der Heinz hat sich aufgelöst, nicht im Tod, sondern in Bedeutung. Der letzte echte Scheißprophet der Straße. Vielleicht war er nie real. Vielleicht war er unser kollektives Gewissen mit Jogginghose und Edeka-Tüte.
Aber eins ist sicher:
Wenn’s irgendwo komisch riecht in der Hamburger Allee, schau lieber zweimal hin – Heinz war nie weit.