„Madame Moskau“ – Die Königin der Bahnhofsmission
Niemand weiß, wo sie herkommt. Aber alle sagen: Danke.
Sie ist keine Sozialarbeiterin. Keine Schwester der Caritas.
Sie ist einfach da. Jeden Tag.
Mit schwarzer Jacke, russischem Akzent und dem Blick einer Frau, die schon mehr Elend gesehen hat als du Wodkaflaschen.
Man nennt sie Madame Moskau. Und keiner weiß, wie sie wirklich heißt.
Wie man sie findet
Bahnhofsmission.
Nicht der offizielle Teil mit Stempeluhr und Plastikbesteck.
Hinten. Draußen. Bei der dampfenden Kanne.
Dort steht sie. Morgens um sieben, abends um zehn.
Winter wie Sommer.
In der Hand: ’ne Styroporkanne mit schwarzem Kaffee oder Instant-Brühe.
In der Tasche: Pflaster, Zucker, Taschentücher – und Kippen für die, die’s wirklich brauchen.
Wer ist sie?
Es kursieren Theorien:
- Sie war mal Krankenschwester in Tschetschenien
- Oder Übersetzerin bei der UN
- Oder Gefangene in einem sibirischen Lager, das es offiziell nie gab
Was auch immer – man merkt: Die Frau kennt Schmerz.
Aber sie hat keinen Weltschmerz.
Sie macht.
Kein Gejammer, kein Gutmenschentum.
Wenn du fragst:
„Warum hilfst du uns?“
Sagt sie nur:
„Wenn keiner macht, kommt nur der Tod.“
Was sie besonders macht
Madame Moskau fragt nicht, wie du hier gelandet bist.
Sie fragt:
„Hast du gegessen?“
„Was brauchst du?“
„Wann warst du zuletzt im Warmen?“
Und sie hat diesen Blick, der durch dich durchgeht.
Wenn du lügst, sie weiß es.
Wenn du ehrlich bist, nickt sie.
Kein Lächeln. Nur ein kurzes:
„Harascho.“
Manchmal flucht sie auf Russisch.
Und manchmal streichelt sie einem total zugedröhnten Punkjungen über den Kopf, wie eine Mutter, die weiß, dass nichts mehr hilft – aber trotzdem bleibt.
Was andere über sie sagen
„Sie ist wie Tee mit Hufschlag“, meint Carlos, der aufm Hof schläft.
„Warm. Aber sie haut auch rein.“
„Einmal hat sie mich rausgeworfen, weil ich ’nen anderen beim Suppeholen weggeschubst hab“, erzählt Jenny.
„Danach hab ich mich das erste Mal wieder entschuldigt.“
Sie lehrt Würde – durch Anwesenheit.
Nicht durch Regeln.
Ein Moment, den ich nie vergesse
Letzter Winter.
Ein Typ zittert vor’m Eingang. Ohne Schuhe.
Keiner weiß, wer er ist.
Madame Moskau kommt raus, sieht ihn, geht wortlos zurück.
Kommt fünf Minuten später wieder – mit zwei Plastiktüten an den Füßen, drin: Wollsocken, Einlagen, Mülltüten.
Sie zieht sie ihm an.
Flüstert was auf Russisch.
Der Typ fängt an zu weinen.
Nicht, weil ihm warm wird.
Sondern weil ihn jemand gesehen hat.
Fazit:
Madame Moskau ist kein Engel.
Sie ist ein verdammter Straßenengel mit Teekanne und Zynismus.
Sie heilt nicht – aber sie lindert.
Sie urteilt nicht – aber sie führt.
Und wenn du ihr begegnest, hast du kurz das Gefühl,
dass Menschlichkeit doch noch irgendwo lebt – zwischen Uringeruch und Brühe.
Jeder sagt: Danke.
Auch wenn sie nur „Nichts sagen – trinken“ antwortet.